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Ein Plädoyer des Bundesverfassungsgerichts für das Sampling und eine Vergütung der freien Nutzung

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Das Bundesverfassungsgericht hat heute die umstrittene Entscheidung des BGH gekippt, wonach das Sampling von kurzen Ausschnitten eines Musikstücks nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig ist (Urteil vom 31. Mai 2016 – 1 BvR 1585/13). In dem schon seit 12 Jahren laufenden Verfahren ging es um eine Sequenz im dem Titel „Nur mir“ von Sabrina Setlur, der aus einem „Kraftwerk“-Hit übernommen war. Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt entschieden, dass die Kunstfreiheit es gebieten könne, der Einsatz von Samples als „stilprägendes Element des Hip-Hop“ zu ermöglichen. Das Gericht hält es für zulässig, dass dafür auch eine Vergütung an den ursprünglichen Produzenten nicht zu zahlen ist, plädiert aber offen für eine vom Gesetzgeber zu schaffende Vergütungsregelung, die an den kommerziellen Erfolg des übernehmenden Werks anknüpfen könnte.

Die Mitglieder von „Kraftwerk“ hatten die Komponisten Pelham und Haas des Stücks ebenso wie die Pelham GmbH, die den Titel veröffentlicht hatte, bereits im Jahr 2004 verklagt. Begründung: Eine Rhythmussequenz des Setlur-Titels aus dem Jahr 1997 stamme aus dem 1977 erschienenen Kraftwerk-Titel „Metall auf Metall“.

Ebenso wie schon das LG Hamburg und das OLG Hamburg hat der Bundesgerichtshof in seinem Urteil  „Metall auf Metall“  vom 20. November 2008 – I ZR 112/06 – entschieden, dass sich die Kläger auf das Leistungsschutzrecht des  Tonträgerherstellers aus § 85 Abs. 1 UrhG berufen könnten. Die Qualität oder die Quantität der von einem Tonträger entnommenen Töne könne kein taugliches Kriterium für die Beurteilung sein, ob die Übernahme von Ausschnitten eines Tonträgers in die Rechte des Tonträgerherstellers eingreife. Es komme nicht darauf an, ob es sich bei der Tonfolge um ein schöpferisches Werk oder eine künstlerische Darbietung handele und ob sie dement-sprechend Urheberrechtsschutz oder Leistungsschutz genieße. Ein Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers bestehe beispielsweise auch an Tonträgern, auf denen Tierstimmen aufgenommen worden seien. Ebenso sei die Länge der Tonaufnahme ohne Bedeutung. Das Leistungsschutzrecht umfasse auch Tonträger, die nur wenige Töne enthielten.  Nicht nur der Tonträger mit der Aufnahme einer mehrsätzigen Sinfonie, sondern auch der Tonträger mit der Aufnahme eines kurzen Vogelgezwitschers sei geschützt.

Allerdings sei zu prüfen, ob die Nutzung in entsprechender Anwendung des § 24 UrhG zulässig sei. Danach darf ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes verwendet werden, soweit das „alte“ Werk in dem neuen gewissermaßen verblasst. Die Vorschrift gilt nicht unmittelbar, weil die Tonsequenz eben keinen Werkcharakter hat. Sie ist aber nach Auffassung des Bundesgerichtshofs entsprechend anwendbar. Eine freie Benutzung komme allerdings dann nicht in Betracht, wenn derjenige, der eine fremde Ton- oder Klangfolge für eigene Zwecke übernehme, hierauf nicht angewiesen sei, weil er selbst in der Lage wäre, die entnommene Sequenz herzustellen.

Das OLG Hamburg hat diese Prüfung anschließend nach Zurückverweisung der Sache durch den BGH vorgenommen und durch Urteil vom 17. August 2011 – 5 U 48/05 – entschieden, dass keine freie Bearbeitung vorliege. Bei der Prüfung, ob es den Beklagten möglich gewesen wäre, die entnommene Tonfolge selbst einzuspielen, stellte das Gericht darauf ab, ob ein mit durchschnittlichen Fähigkeiten und technischen Möglichkeiten ausgestatteter Musikproduzent im Zeitpunkt der Entnahme der fremden Tonaufnahme in der Lage gewesen wäre, eine gleichwertige Sequenz zu produzieren. Dies hat der BGH mit Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 182/11 – in der Entscheidung „Metall auf Metall II“ auf die erneute Revision von Setlur bestätigt.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun angenommen, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs die beiden Komponisten und die Musikproduktionsgesellschaft des Titels „Nur mir“ in ihrer durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantierten Freiheit der künstlerischen Betätigung verletze. Das Gericht geht davon aus, dass die zugrundeliegenden Vorschriften über das Tonträgerherstellerrecht (§ 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG) und das Recht auf freie Benutzung (§ 24 Abs. 1 UrhG) mit der Kunstfreiheit und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar seien. Dies gelte auch insofern, als § 24 Abs. 1 UrhG durch den Verzicht auf eine entsprechende Vergütungsregelung auch das Verwertungsrecht der Urheber oder Tonträgerhersteller beschränke. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die enge Ausnahmeregelung nicht durch eine Vergütungspflicht zu ergänzen, halte sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums, auch wenn es dem Gesetzgeber nicht von vornherein verwehrt sei, das Recht auf freie Benutzung mit einer Pflicht zur Zahlung einer angemessenen Vergütung zu verknüpfen. Hierbei könne er der Kunstfreiheit beispielsweise durch nachlaufende, an den kommerziellen Erfolg eines neuen Werks anknüpfende Vergütungspflichten Rechnung tragen.

Die Annahme des Bundesgerichtshofs, die Übernahme selbst kleinster Tonsequenzen stelle einen unzulässigen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger dar, soweit der übernommene Ausschnitt gleichwertig nachspielbar sei, trage der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung. Wenn der Musikschaffende, der unter Einsatz von Samples ein neues Werk schaffen wolle, nicht völlig auf die Einbeziehung des Sample in das neue Musikstück verzichten wolle, stelle ihn die enge Auslegung der freien Benutzung durch den Bundesgerichtshof vor die Alternative, sich entweder um eine Samplelizenzierung durch den Tonträgerhersteller zu bemühen oder das Sample selbst nachzuspielen. In beiden Fällen würden jedoch die künstlerische Betätigungsfreiheit und damit auch die kulturelle Fortentwicklung eingeschränkt.

Der Verweis auf die Lizenzierungsmöglichkeit biete keinen gleichwertigen Schutz der künstlerischen Betätigungsfreiheit: Auf die Einräumung einer Lizenz zur Übernahme des Sample bestehe kein Anspruch, während das eigene Nachspielen von Klängen ebenfalls keinen gleichwertigen Ersatz darstelle. Der Einsatz von Samples sei eines der stilprägenden Elemente des Hip-Hop. Die erforderliche kunstspezifische Betrachtung verlange, diese genrespezifischen Aspekte nicht unberücksichtigt zu lassen. Hinzu komme, dass sich das eigene Nachspielen eines Sample als sehr aufwendig gestalten könne und die Beurteilung der gleichwertigen Nachspielbarkeit für die Kunstschaffenden zu erheblicher Unsicherheit führe.

Dem stehe nur ein geringfügiger Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht der Kläger ohne erhebliche wirtschaftliche Nachteile gegenüber. Eine Gefahr von Absatzrückgängen für die Kläger des Ausgangsverfahrens durch die Übernahme der Sequenz in die beiden streitgegenständlichen Versionen des Titels „Nur mir“ sei nicht ersichtlich. Eine solche Gefahr könne im Einzelfall allenfalls dann entstehen, wenn das neu geschaffene Werk eine so große Nähe zu dem Tonträger mit der Originalsequenz aufwiese, dass realistischerweise davon auszugehen wäre, dass das neue Werk mit dem ursprünglichen Tonträger in Konkurrenz treten werde. Dabei seien der künstlerische und zeitliche Abstand zum Ursprungswerk, die Signifikanz der entlehnten Sequenz, die wirtschaftliche Bedeutung des Schadens für den Urheber des Ausgangswerks sowie dessen Bekanntheit einzubeziehen. Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, sei  von Verfassungs wegen nicht geboten. Das vom Bundesgerichtshof für die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UrhG auf Eingriffe in das Tonträgerherstellerrecht eingeführte zusätzliche Kriterium der fehlenden gleichwertigen Nachspielbarkeit der übernommenen Sequenz sei nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen.

Der Bundesgerichtshof könne bei der erneuten Entscheidung die hinreichende Berücksichtigung der Kunstfreiheit im Rahmen einer entsprechenden Anwendung von § 24 Abs. 1 UrhG sicherstellen. Hierauf sei er aber nicht beschränkt. Eine verfassungskonforme Rechtsanwendung, die hier und in vergleichbaren Konstellationen eine Nutzung von Tonaufnahmen zu Zwecken des Sampling ohne vorherige Lizenzierung erlaube, könne beispielsweise auch durch eine einschränkende Auslegung von § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG erreicht werden. Soweit Nutzungshandlungen ab dem 22. Dezember 2002, auf welche die Urheberrechtsrichtlinie der Europäischen Union anwendbar sei, betroffen seien, habe der Bundesgerichtshof als zuständiges Fachgericht zunächst zu prüfen, inwieweit durch vorrangiges Unionsrecht noch Spielraum für die Anwendung des deutschen Rechts bleibe. Erweise sich das europäische Richtlinienrecht als abschließend, sei der Bundesgerichtshof verpflichtet, effektiven Grundrechtsschutz zu gewährleisten, indem er die Richtlinienbestimmungen mit den europäischen Grundrechten konform auslege und bei Zweifeln über die Auslegung das Verfahren dem EuGH vorlege.

 


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